LORDS, SCONES & BAGPIPES

(Clan MacDougal 1)


Mit meinen voll beladenen Tellern suche ich einen Platz an einem der langen Tische, was sich als gar nicht so einfach erweist, da wirklich das gesamte Dorf angetrabt ist und auch noch Leute von außerhalb. Zum Glück ist das MacDougal-Anwesen groß genug, um sie alle zu beherbergen. Unser Clan hat wahrscheinlich schon immer gern gefeiert.

Da! Eine Lücke! Schnell!

Ich eiere zwischen Tischen, Bänken, Stühlen und herumstehenden Leuten hindurch, darauf bedacht, dass mir nichts von dem wertvollen Essen vom Teller klatscht. Als ich den freien Stuhl erobert, mich hingesetzt und mein Essen abgestellt habe, atme ich erst mal auf.

»Das ist ein bisschen wie das Spiel Reise nach Jerusalem, he?«

»Hm?« Erschrocken drehe ich mich zu der Seite, von der mich gerade eine Männerstimme angesprochen hat. Eine tiefe, hübsche – die verdammt gut zu dem Kerl mit dem Lausbubengrinsen, den graugrünen Augen und den dunklen, an den Schläfen leicht grau werdenden Haaren passt. »Äh, aye. Deswegen hab ich mir gleich so viel Essen auf einmal mitgebracht. Ich traue mich nicht, noch mal aufzustehen. Denn dann ist mein Platz vermutlich sofort weg.«

Der schnieke Kerl nickt. »Ich sitze hier seit Stunden wie festgeleimt. Nicht ohne Grund. Ein Jammer, dass der alte MacDougal nichts von Sitzordnungen hält.«

Ich ziehe eine kleine Grimasse. »Dann hätte er ja zugeben müssen, dass er gar nicht genug Stühle hat, um all den Leuten einen Sitzplatz anzubieten, die ihn hier feiern sollen.«

Der Mann lacht. Natürlich auch tief und melodisch, was sonst. Manche Typen sind einfach rundum gesegnet. Aber irgendwie kommt er mir auch bekannt vor. Wenn ich ihn nur zuordnen könnte!

»Du hast wirklich schön gespielt vorhin«, erklärt er.

»Ja? Danke. Ist auch der einzige Grund, aus dem ich eingeladen wurde.«

Er hebt eine Braue. »Warum denn das?«

Verschwörerisch senke ich meine Stimme. »Bin hier so was wie das schwarze Schaf.«

»Ach herrje. Wie kommt das?«

»Ich studiere Pharmazie, was alle gut finden. Aber ich habe noch einen Nebenjob, den alle scheiße finden.«

»Welchen Nebenjob kann man scheiße finden?« Mein Gegenüber gibt vor, nachzudenken. »Sag bloß, du verkaufst Dildos im Multi-Level-Marketing.«

Ich pruste los. Das kam unerwartet. »Was?«

Der Mann grinst und es steht ihm ausgesprochen gut. Und ich sollte langsam mal aufhören, ihn abzuchecken. »War nur ein Spaß.« Er nimmt sich einen Scone, streicht Clotted Cream darauf und beißt genüsslich davon ab.

»Scones zum Abendessen?«, frage ich neugierig.

»Mhm. Ich liebe die Dinger. Kann ich zu jeder Tageszeit essen.«

»Ich mag sie auch. Bin nur leider zu talentlos, um sie selbst zu backen.«

»Ich kann das zwar, bin aber meistens zu faul dazu.« Er hebt eine Braue. »Du wolltest mir noch erzählen, welchen Nebenjob du hast.«

»Wollte ich das?« Ich ziehe eine kleine Grimasse.

»Andeutungen machen und dann nicht rausrücken, ist ungerecht. Also?«

Ich seufze. Na schön. »Sooo weit warst du gar nicht von der Wahrheit entfernt«, gebe ich zu. »Ich tanze in einem Nachtclub.«

»Einem Nachtclub für Schwule?

»Aye.«

»Oho!« Er macht ein gespielt schockiertes Gesicht. »Aye, da kann ich mir sehr gut vorstellen, dass das dem alten MacDougal nicht passt.«

»Vor allem passt ihm nicht, dass ich keinen Hehl daraus mache. Die Familie meinte, ich müsse mir meinen Lebensunterhalt während des Studiums selbst verdienen, weil ich damit gleich fürs Leben lerne und so weiter. Aber ich hab mir dann eben die Freiheit genommen, auszusuchen, womit ...«

Der Kerl lacht leise und wirkt ehrlich amüsiert. »Herrlich. Wer hätte das gedacht? Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du gerade erst in die Pubertät gekommen.«

»Ach so?« Scheiße, wer ist der Kerl?

»Aye. Das war vor zehn Jahren, an Ivars Siebzigstem.«

»Ähm ...« Ich räuspere mich unbehaglich. »Sorry, das ist mir jetzt ultrapeinlich, aber ich kann dich gerade nicht zuordnen.«

»Oh!«, ruft er überrascht. »Sorry, ich gehe immer davon aus, dass mich hier jeder kennt, aber du bist ja extrem selten hier. Ich bin Keir Gillespie. Ivar MacDougal ist mein Patenonkel. Das ist wahrscheinlich auch der einzige Grund, aus dem ich hier eingeladen bin.«

»Keir Gillespie ...« Mein Hirn rattert. »Warte, Keir Gillespie, der Baronet of ... of ...«

»Der 6. Baronet of Ardnatyre, aye, aye.«

Natürlich. Wenn Ivar MacDougal zum Geburtstag einlädt, tanzt auch der Baronet of Ardnatyre an. Und ich habe ihm gerade frei von der Leber weg erzählt, in was für einem Etablissement ich arbeite. Ich werde wohl gleich einen Tischnachbarn weniger haben.

»Es tut mir leid, dass ich Sie nicht erkannt habe, Sir Keir«, erkläre ich eilig.

Er lässt die Hand mit dem Scone, von dem er gerade abbeißen wollte, sinken, und schaut mich seltsam an. »Du wirst doch wohl jetzt nicht förmlich werden, oder? Keir reicht. Kein MacDougal spricht mich mit Sir an.«

»Okay ...« Verlegen kratze ich mich hinterm Ohr. »Soll ich mich wegsetzen?«

Er runzelt die Stirn. »Warum denn das?«

»Ich dachte, vielleicht willst du nicht mit mir gesehen werden.«

Amüsiert lacht er auf. »Machst du Witze? Ich finde es großartig, wenn jemand den alten MacDougal ein bisschen ärgert. In dieser Familie gehören schon lange mal ein paar alte Zöpfe abgeschnitten.«

Erleichtert lache ich ebenfalls. Keir wird mir mit jeder Sekunde sympathischer. »Nicht wahr? Aber ich glaube nicht, dass sich was ändern wird, wenn Ivar mal nicht mehr da ist. Dann übernimmt sein Sohn hier das Regiment.«

»Hmm.« Skeptisch wirft Keir einen Blick auf den rüstigen Jubilar und seinen Ältesten, der schon mit den passenden, strengen Gesichtszügen und breiten Schultern geboren wurde. »Da hast du recht, fürchte ich. Torquil MacDougal ist ja auch so ein Mensch, der zum Lachen in den Keller geht. In wirklich, wirklich tiefe Keller. Und seine Schwester ist kaum anders.«

»Ich glaube, die beiden wissen gar nicht, was Lachen ist.«

 

Verschwörerisch grinsen wir uns an. Die Party ist doch gar nicht so ätzend, wie von mir befürchtet!

  

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