An deinen rauen Klippen


Am Mittag holte sich der Viscount nichts zu essen, aber Cameron hielt sein Versprechen und nahm es nicht persönlich. Der Mann hatte spät gefrühstückt und vermutlich noch gar keinen Hunger, auch wenn es ein Jammer war, dass ihm die köstlichen Ham-and-Egg-Sandwiches entgingen.

Wieder was für die Tupperdose. Ma wird nicht nein dazu sagen und Millie vielleicht auch nicht.

Will kam in die Küche, um sich auch etwas zu essen zu holen. »Hallo Cam! Na, wie läuft es heute? Ich habe gehört, der Griesgram hätte sich bei dir entschuldigt?«

»Aye. Und es klang aufrichtig, deshalb verdient er auch eine zweite Chance.«

»O Mann. Was für ein Tag. Falls der Abend doch noch in einer Katastrophe endet: Ruf mich an, bevor du kündigst, ja? Dann will ich den Pisscount vorher auch noch zusammenstauchen.«

»Versprochen.«

Sie grinsten sich an, Will nahm ein Sandwich und zog wieder seiner Wege. Er war hier auf Cairnroch Estate genau wie Ellen eine Institution. Und genau wie Ellen kannte Cameron Will schon mehr als sein halbes Leben.

Kurz danach kam Ellen in die Küche und half Cameron noch ein wenig, bevor auch sie sich verabschiedete, um ihren eigenen Angelegenheiten nachzugehen. Cameron blieb allein zurück und bereitete das Abendessen zu. Das war eine Aufgabe, die er wirklich nur dann zu erledigen hatte, wenn Besuch auf Cairnroch Estate war, denn die Angestellten gingen ansonsten vor dem Abend nach Hause. Als die Küche von einem köstlichen Duft erfüllt war und es nur noch wenige Minuten dauerte, bis er das Gericht aus dem Backofen holen konnte, schickte er dem Lord eine Nachricht:

Essen ist fertig!‹

Er war gespannt, ob der Viscount kam oder ob er sich weiterhin aufs Fasten verlegte. Aber gerade, als Cameron das Essen aus dem Ofen holte, betrat er die Küche.

»Was gibt es denn heute Abend?«, fragte er. Er wirkte ungewohnt verlegen, was überhaupt nicht zu dem garstigen Kerl von heute Morgen passte. Cameron wurde einfach nicht schlau aus ihm.

»Fischauflauf. Bodenständiges, schottisches Essen und außerdem meine Spezialität.«

»Oh, so etwas hatte ich wirklich schon lange nicht mehr. Ich denke ... ich denke, ich nehme ein kleines Stück.«

»Nur ein kleines?«

»Ja. Ich habe momentan nicht so viel Appetit ...« Er räusperte sich und blieb Cameron eine weitere Erklärung schuldig. »Nur ein kleines Stück bitte.«

»Wie Sie wollen.« Cameron schnitt ihm von dem Gratin ab und legte es auf einen Teller.

»Das ist nicht klein«, bemerkte der Lord. »Es ist mittelgroß.«

»Dann lassen Sie einfach auf dem Teller, was Sie nicht schaffen. Okay? Und falls Sie sogar noch Hunger haben: Es ist noch genug da für einen Nachschlag oder zwei.«

»In Ordnung.« Der Viscount nahm den Teller entgegen und wirkte unschlüssig. »Ich habe eine Frage. Es ist vielleicht ein wenig unorthodox, aber würde es Sie stören, wenn ich hier esse?«

»Hier in der Küche?«

»Ja.«

»Nae, das stört mich gar nicht«, erwiderte Cameron, obwohl das nicht so ganz stimmte. Eigentlich wollte er lieber seine Ruhe, aber wenn der Piss... Viscount gerade schon so handzahm war, dann nahm er lieber seine Anwesenheit hier in Kauf. »Wenn es Sie nicht stört, dass ich auch gerade essen will?«

»Nein.«

»Gut. Essen in Gesellschaft soll ja sogar den Appetit anregen.« Cameron war ziemlich hungrig, aber er tat sich kein so großes Stück auf, wie er es normalerweise tun würde. Er wollte nicht gefräßig wirken und der Kommentar über seine Figur steckte ihm immer noch unangenehm in den Knochen.

»Würden Sie bitte aufhören, meinen Appetit zu thematisieren?« Da war er wieder, dieser gereizte Tonfall, wenn auch nur unterschwellig.

»Aye. Entschuldigung. Ich wollte nur ein bisschen aufmunternd sein.«

Nachdenklich sah der Viscount auf seinen Teller. »Das sind Sie. Auf eine Art. Guten Appetit, Cameron.«

»Danke ebenfalls.«

Sie begannen zu essen und Cameron beobachtete den Lord dabei verstohlen aus dem Augenwinkel. Der aß langsam und bedächtig, schien bei jedem Bissen einen kleinen, inneren Disput mit sich auszufechten. Genuss sah anders aus. Es fiel Cameron schwer, sich nicht dazu zu äußern.

»Es schmeckt wirklich sehr, sehr gut«, erklärte der Viscount unerwartet.

Cameron strahlte. »Danke!« Komplimente, mit denen man nicht rechnete, waren doch immer noch die besten. »Die einfachen Gerichte sind oft die schwierigsten, weil man aus simplen Zutaten etwas Besonderes machen möchte. Aber sie sind auch das, was ich am liebsten esse.«

»Ich auch. Diese Gerichte sind ... ehrlich

»Nicht wahr?« Cameron musste immer noch lächeln. Der Viscount schien durchaus ein tieferes Verständnis für Kochen und Essen zu haben, und das war für ihn stets eine erfreuliche Sache.

»Könnte ich ... vielleicht doch noch eine Portion haben?«, fragte der Viscount schließlich und die Verlegenheit, mit der er auch schon die Küche betreten hatte, war prompt wieder da.

»Oh, was? Höre ich richtig?«

»Wenn Sie sich über mich lustig machen wollen, dann verzichte ich allerdings.«

»O nein! Jetzt hören Sie doch auf. Ich hab das Gefühl, jedes Wort ist wie ein Tanz auf rohen Eiern. Wissen Sie, Mylord, ich bin eben so. Geradeheraus. Deshalb bin ich hier Koch und kein Hausdiener. Die Etikette liegt mir nicht so.«

»Ach ... die Etikette meine ich nicht.« Der Viscount schob ihm seinen Teller hin. »Tragen Sie mir auf? Ich kann es auch selbst tun, das ist kein Problem.«

»Nicht doch. Ich mache das.«

Cameron legte dem Lord noch ein Stück Fischauflauf auf den Teller und beobachtete mit Genugtuung, wie der sich darüber hermachte.

»Es ist wirklich, wirklich gut«, erklärte er kauend und damit ganz unfein für einen Lord. »Was ist darin?«

»Im Wesentlichen Kabeljau, eine helle Soße, Kräuter und Käse. Das Geheimnis, warum mein Fischauflauf so besonders gut schmeckt, ist fangfrischer Fisch und bester, schottischer Käse von der Isle of Mull.«

»Wirklich großartig. Und ja, so simpel. Danke. Auch für Ihre Geduld mit mir.« Abrupt erhob sich der Viscount und nickte Cameron zu. »Ich muss jetzt gehen. Gute Nacht, Cameron.«

»Gute Nacht«, gab Cameron etwas verwirrt über diesen plötzlichen Abschied zurück und sah dem Lord hinterher, als der die Küche verließ.

 

Schade. Eigentlich wollte ich ihn noch in ein Gespräch verwickeln.

 

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