»Jetzt habe ich erst einmal Akteneinsicht beantragt und dann sehen wir weiter. Ich werde mein Möglichstes tun, damit es gar nicht erst zum Prozess kommt.«
»Vielen Dank, Mr MacDougal«, erwidert mein Mandant. »Sie haben auch in dieser Sache wie immer mein vollstes Vertrauen.«
Ich nicke ihm zu und wir verabschieden uns. Diesen Mandanten betreue ich schon seit vielen Jahren; wir kommen gut miteinander aus und seine Fälle, die mein Fachgebiet des Handels- und Gesellschaftsrechts betreffen, sind in der Regel sehr einträglich für mich.
Trotzdem finde ich die Gesprächstermine mit ihm immer äußerst anstrengend. Er ist einer von denen, die alles haarklein erklärt haben möchten. Das ist sein gutes Recht, aber oft denke ich, dass er nach all den Jahren die eine oder andere Sache auch selbst wissen sollte.
Seufzend betätige ich den Knopf der Sprechanlage zum Vorzimmer. »Andrea, können Sie mir bitte einen schwarzen Kaffee machen?«
»Na klar.«
Kurz darauf kommt meine Sekretärin herein und bringt mir das dampfend heiße Getränk.
Ich nehme es entgegen. »Vielen Dank.«
»Bitte sehr. Ihre Schwester ist übrigens da.«
»Oh? Schicken Sie sie herein.«
Andrea nickt und verlässt mein Büro; nur Sekunden später tritt Rhiannon ein. Mit einem neuen Haarschnitt.
»Na, wie geht’s meinem Lieblingsbruder?«, will sie wissen.
»Ich bin dein einziger Bruder.« Ich ziehe eine Grimasse. »Ganz gut. Ist irgendwie ein trister Tag heute.«
»Stimmt. Ich hab heute frei, weiß aber nach meinem Friseurbesuch irgendwie gar nichts mit mir anzufangen, da dachte ich, ich schau mal vorbei.« Sie nimmt auf dem Stuhl Platz, auf dem normalerweise meine Mandanten sitzen. »Wie war dein Abschied?«
»Oh, hör auf.« Ich fasse mir an die Stirn. »Ich habe wahrscheinlich einen großen Fehler gemacht.«
»Inwiefern?«
»Ich habe mir sozusagen jemanden ans Bein gebunden. Privat, für Spiele. Das heißt, ich habe mich noch nicht bei ihm gemeldet, aber ich habe es versprochen und du kennst mich ja.«
»Aye. Du hältst deine Versprechen. Aber warum hast du das überhaupt gemacht, wenn du es für eine schlechte Idee hältst?«
»Ich weiß auch nicht.« Kopfschüttelnd starre ich in meine Kaffeetasse. »Ich hatte den Kerl vorher noch nie als Kunden, er hatte schlechte Erfahrungen mit einem Möchtegern-Dom gemacht und war nach der Session irgendwie total auf mich fixiert. Und da ich überhaupt so idiotisch war, ihn für meine letzte Session zu akzeptieren – auch wenn ich das mit der schlechten Erfahrung nicht wusste – fühle ich mich jetzt irgendwie für ihn verantwortlich.«
»Du fühlst dich immer für alles verantwortlich.« Rhiannon hebt eine Braue. »Aber genau deshalb bist du ja jetzt unser MacDougal-Häuptling.«
»Tja ... und genau deshalb wäre es besser, diese ganze Geschichte gleich abzublasen. Ich weiß nur noch nicht, wie.«
»Mochtest du ihn denn? Hat dir die Session mit ihm gefallen?«
»Schon. Wir haben gut harmoniert und er hat meine Schwäche für zierliche Typen bedient.«
»Hmm.«
Eine Weile schweigen wir.
»Denkst du manchmal auch an das, was unsere Cousins gesagt haben?«, fragt Rhiannon unvermittelt. »Dass wir beide wahrscheinlich die unglücklichsten MacDougals von allen sind?«
»Ich denke andauernd daran«, gestehe ich. »Und ich fürchte, sie könnten recht haben. Es ist nicht so, dass ich todunglücklich bin, aber ... wenn ich mir die anderen anschaue, kommt mir mein Leben manchmal etwas leer vor. Und eingeschränkt. Aber das ist wohl meiner Aufgabe geschuldet.«
»Denkst du, das wird sich jemals ändern? Können wir jemals glücklich werden?«
»Ich weiß nicht, ob ich es jemals schaffe ... aber du? Du kannst glücklich werden und du sollst es. Ich werde alle Hebel in Bewegung setzen, damit das so wird. Und immer hinter dir stehen.«
»Du weißt, dass das umgekehrt auch so ist, oder?« Rhiannon lächelt verkrampft. Ihre Augen schimmern. Sie zeigt extrem selten Emotionen, umso kostbarer sind sie nun. »Am Ende haben wir immer noch uns und darüber bin ich unendlich froh.«
»Ich auch.« Ich lange über den Schreibtisch und drücke ihre Hand. »Der kurze Haarschnitt steht dir übrigens hervorragend. Er lässt dich androgyner wirken.«
»Danke.« Sie lächelt. »Ich fühle mich auch gleich viel wohler in meiner Haut. Mehr wie ich selbst. Auch wenn ich weiß, dass Pa diesen Haarschnitt schrecklich gefunden hätte.«
»Nun ja, Pas Haarschnitt war auch schrecklich.«
Wir lachen beide und etwas von unserer Anspannung löst sich.
»Na gut.« Rhiannon klopft auf den Tisch. »Ich zieh dann mal weiter. Muss noch ein bisschen Brennholz hacken. Ach und übrigens ... ich finde, du solltest Kontakt zu diesem Typen aufnehmen. Ich kann verstehen, dass du nicht mehr in den Club willst, mir wäre das auch zu riskant, denn als neues Oberhaupt werden dich alle ganz genau unter die Lupe nehmen. Aber das heißt doch nicht, dass du privat überhaupt keinen Spaß haben darfst. Wenn dich einer mit dem Kerl sieht, kannst du ja behaupten, es sei ein Kollege vom Jagdverein oder so was.«
»Gar keine schlechte Idee«, gebe ich zu.
»Natürlich nicht. Ist ja auch von mir.« Sie zwinkert mir zu und verlässt das Büro.
Ich bleibe zurück mit meinen Gedanken. Hat Rhiannon nicht recht? Ich glaube nicht, dass ich den Rest meines Lebens verbringen kann, ohne meine Leidenschaften je wieder auszuleben. Privat ist das vielleicht diskreter möglich als als professioneller Dom in einem Club, auch wenn der vierzig Meilen entfernt in Glasgow ist und ich mich bemüht habe, meine Anonymität auch dort zu wahren. Wenn ich mich ab und zu privat mit einem einzelnen Kerl treffe ... das dürfte keinem auffallen. Das ist anders als meine regelmäßigen, geheimen Termine in der Stadt. Und der Kleine ist nicht von hier, da gibt es keine Verbindungen.
Ehe Andrea mir meinen nächsten Mandanten hereinschickt – den letzten für heute –, öffne ich mein E-Mail-Programm mit meiner privaten Mailadresse und tippe die Nachricht, die ich schon seit Tagen vor mir herschiebe:
Ethan,
teile mir einen Tag und eine Uhrzeit in der kommenden Woche mit, an dem du mich treffen kannst, sowie einen Ort, an dem ich dich abhole.
Ich erwarte deine Antwort binnen 24 Stunden.
Master Thor