Der Wind auf deiner Haut

Leseprobe


Deutlich feuchter als geplant traf Rory nach einer halben Stunde in Kinnablair ein. Es war kein richtiges Dorf, sondern mehr eine Ansammlung von wenigen Häusern, aber die angegebene Adresse konnte er dort nicht finden. Er musste die Navigation auf seinem Handy befragen und so langsam ging ihm die Zeit aus.

Das Ding schickte ihn wieder aus dem Örtchen heraus und jagte ihn eine steile, schmale Straße hinauf. Rory pfiff auf den letzten Löchern und zu der Feuchtigkeit des letzten Schauers gesellte sich Schweiß.

Ich werde einen großartigen Eindruck machen. Beschissenes Highlandwetter hier.

Er fragte sich außerdem, wo die bescheuerte Navigation ihn hinleiten wollte, denn hier war nichts, außer–

Oh. Nett.

Hinter diesem ätzend steilen Berg verbarg sich im Tal ein geradezu filmkulissenhaftes Anwesen aus grauem Stein mit einer langen, gepflegten Einfahrt.

»O James, du bist zu mir zurückgekehrt!«, trällerte Rory mit einer Fistelstimme, und dann etwas tiefer: »Ja, Margaret, mein Leben war ohne dich sinnlos. Elizabeth hat mich und meine Familie nur betrogen und uns beinahe um unser Hab und Gut gebracht, aber du hast mir die Augen geöffnet, Darling! Jetzt bin ich zum Glück immer noch reich und gutaussehend und wir können heiraten.« Und dann noch einmal mit der Fistelstimme: »James, du machst mich so glücklich! Komm, lass uns in das herrschaftliche Schlafzimmer gehen und Liebe machen bis zum Sonnenaufgang.« Eigentlich hatte er »ficken« sagen wollen, aber so würde Lady Margaret in einer Hausfrauenschmonzette sicher nicht sprechen.

Er imitierte leise quietschend eine Geigenmelodie, bis er die Einfahrt hinauffuhr. An der Tür wartete tatsächlich ein Butler, jedenfalls nahm Rory an, dass es einer war.

Parken Sie bitte meinen Wagen, Archie, seine Lordschaft erwartet mich.

»Hey, äh ... guten Tag. Rory Maclean mein Name, ich habe einen Termin bei Mr Dunbar.«

Der Butler oder Concierge oder was auch immer er war, nickte und wirkte ein wenig pikiert. Aber hier roch es verführerisch nach Geld. »Willkommen auf Kinnablair Mansion, Mr Maclean. Ihr Fahrrad können Sie hier stehen lassen, ich bringe Sie hinein. Es dauert noch einen Moment, die Physiotherapeutin ist gerade noch bei Sir Hamish.«

»Ohne Scheiß?«, entfuhr es ihm. Sir Hamish? Kinnablair Mansion? War das ein Witz oder war er hier tatsächlich auf einem Adelssitz gelandet?

Der Butler hob eine Braue. »Wie meinen?«

Rory winkte ab. »Ach, nichts. Ich wusste nur nicht ... also ...«, er gestikulierte herum, »das hier. Dass Sie hier adelig sind und so.«

»Sir Hamish Dunbar ist der 12th Baronet of Kinnablair, aber er hängt es nicht gern an die große Glocke.«

Rory sah sich auf dem Filmkulissengelände um und schüttelte innerlich den Kopf. »Klar, sicher.«

Die Inneneinrichtung des Hauses passte zur äußeren Optik – dunkle Möbel, Teppiche, Vorhänge im Tartan-Look, aber man sah trotzdem, dass hier vor nicht allzu langer Zeit gründlich renoviert und umgebaut worden war. Die Fenster waren neu, die Türen weit und schwellenlos und es gab eine direkt in das Haus integrierte Aufzugkabine, die Rory an die Beamer in alten Science-Fiction-Filmen erinnerte. Hier liefen auf jeden Fall nicht solche Leute herum wie bei Walmart. Eigentlich liefen hier bis auf den Butler überhaupt gar keine Leute herum, das Haus wirkte fast wie ein langweiliges Heimatmuseum. Fehlte nur noch eine Wachspuppe von Alastair MacDonald irgendwo in der Ecke.

Der Butler führte ihn in ein Teezimmer und bat ihn, Platz zu nehmen. Rory zog seine Jacke aus und setzte sich in einen der Sessel, der so weich war, dass sein Hintern gefühlt so weit einsank, bis seine Knie neben seinen Ohren landeten.

»Darf ich Ihnen einen Tee und etwas Shortbread anbieten?«, fragte der Butler.

»Klar, immer her mit den guten Sachen.«

Der Kerl hob wieder eine Augenbraue und entfernte sich aus dem Zimmer. Rory nahm eine bequemere Stellung ein und blickte sich um. Kinnablair Mansion, versteckt in den Highlands. Sir Hamish Dunbar. Kein Wunder, dass der so geizig mit seinen Angaben in der Anzeige gewesen war.

Sonst würde er ja massenhaft Leute wie mich anlocken.

Rory grinste und war froh, dass er noch einen Moment hatte, in der angenehmen Wärme des Zimmers zu trocknen, bevor er dem feinen Lord gegenübertrat. Wenn er es richtig anstellte, konnte er hier vielleicht einen guten Lohn aushandeln, auch wenn er noch keine Ahnung hatte, wie er die Pendelei regeln sollte. Er konnte nicht jeden Tag fünf Stunden damit verbringen, hin und her zu fahren. Vielleicht sollte er sich irgendwo in der Nähe ein Zimmer nehmen?

»Was soll ich hier überhaupt so machen?«, fragte er den Butler, als der mit Tee und Keksen zurückkam. »Die Hecken schneiden und so was? Oder dem Lord die Zeitung vorlesen?«

»Sir Hamish kann selbst lesen«, gab der Butler hochnäsig zurück, als zweifelte er an Rorys eigener Lesefähigkeit. »Ich weiß nicht, warum er Sie einbestellt hat.«

»Ach so.« Rory nahm ein Shortbread, dippte es in den Tee und biss davon ab. »Und Sie so?«, fragte er kauend. »Arbeiten Sie hier schon lange?«

»Ich arbeite für die Familie Dunbar seit achtundzwanzig Jahren.«

»Echt? Wow. Und es geht Ihnen nicht auf die Nerven, immer die gleichen Gesichter zu sehen?«

»Nein.« Der Butler räusperte sich. »Sie entschuldigen mich, ich habe noch zu tun. Ich werde Sie abholen, sobald Sir Hamish mit der Physiotherapie fertig und bereit ist, Sie zu empfangen.«

»Klar doch. Ich mach’s mir hier derweil gemütlich.«

»Bitte nicht mit den Schuhen auf die guten Polstermöbel.«

Rory zog eine Grimasse, als der Butler sich abwandte und ging. Draußen hatte es wieder zu regnen begonnen und die Tropfen perlten von der Fensterscheibe. Aber hier drinnen war es zu gemütlich, um trist zu wirken, und das Shortbread schmeckte wie hausgebacken, nicht wie die aus der Verpackung. Nette Hütte. Jetzt war Rory nur noch gespannt, wie sein potentieller Arbeitgeber so war und was genau er ihm eigentlich für Aufgaben geben wollte. In den E-Mails hatte er diese Fragen nicht beantwortet, sondern darauf verwiesen, das alles im persönlichen Rahmen besprechen zu wollen.

Die Wärme und Stille im Zimmer, das gleichmäßige Tröpfeln des Regens und der weiche Sessel machten Rory schläfrig. Er lehnte seinen Kopf an und schloss für einen Moment die Augen. Wenn er die Kohle hätte, in einer solchen Hütte zu wohnen, das wäre ein Leben. Bestimmt stand hier irgendwo noch ein riesiger Flatscreen und durch den Garten konnte man mit einem kleinen Golfwagen fahren. Scheiße, er musste diesen Job hier kriegen, schon allein für den Spaß.

»Mr Maclean?« Rory schreckte hoch. Der Butler stand in der Tür. »Sir Hamish würde Sie jetzt gern kennenlernen.«

»Ich ... ja, okay.« Rory stopfte sich noch hastig ein Shortbread in den Mund, spülte es mit Tee hinunter und klopfte sich die Hände an seiner Jeans ab. »Bereib wenn Fie ef find!«

Stocksteif drehte der Kerl sich um und ging voraus. Rory dackelte ihm hinterher und musste das Bedürfnis unterdrücken, Faxen hinter diesem furchtbar ernsten Hausdiener zu machen. Konnte ein Butler eigentlich noch klischeehafter sein?

»Warum benutzen wir nicht den tollen Fahrstuhl?«, fragte Rory, als sie die Treppe hinaufgingen.

»Der ist nur für Sir Hamish und seinen Rollstuhl gedacht, nicht für faule Menschen, die ihre Beine noch benutzen können.«

»’Tschuldigung.«

Reiß dich zusammen, Mann. Wenn schon der Butler einen scheiß Eindruck von dir hat, kannst du dir den Job gleich abschminken.

Er wurde durch einen breiten Gang geführt, in dem nur noch eine Ahnengalerie fehlen würde, um das Bild abzurunden, aber die hing sicher auch noch irgendwo in diesem Haus. Dann öffnete der Butler die Tür und machte eine einladende Geste ins Innere des Raumes.

»Bitteschön.«

Rory nickte ihm zu und trat ein. Es war ein überraschend helles Zimmer mit cremefarbenen Wänden, weißen Vorhängen, ein paar Akzenten in dunklem Tartan und einem großen Dachfenster, das direkt in die Decke eingelassen war und durch das man den Himmel beobachten konnte. Es roch nach Vanille und irgendwelchen Blumen, angenehm und unaufdringlich. In der Ecke flackerte ein gemütliches Feuer in einem Kamin.

»Wow«, entkam es ihm.

»Guten Tag.«

Rory schreckte zusammen. Erst jetzt bemerkte er das großzügige Bett mit dem Mann darin, zu dem die Stimme gehörte. »Guten Tag, Sir. Rory Maclean, wir sind verabredet.«

»Das sind wir.« Sir Hamish lächelte. Er hatte nicht nur die samtweichste Stimme, die Rory je gehört hatte, sondern auch die geradesten, natürlich weißesten Zähne.

Unwillkürlich drückte Rory die Zunge gegen seine Vorderzähne, zwischen denen eine kleine Lücke klaffte. Der NHS hatte ihm nie eine Zahnspange bezahlt.

 

»Tja, also ...« Rory trat näher. Die grauen, ein wenig streng wirkenden Augen des Mannes folgten jeder seiner Bewegungen. »Da bin ich.«

 

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