Die fremden Brüder

Inselreich-Saga 6

Leseprobe


»Wir haben ein paar hübsche Gefangene gemacht«, verkündete Olafúr und schlug Kétill freundschaftlich auf den Rücken. »Du darfst dir heute natürlich als Erster nach dem Jarl einen herauspicken. Es sind ein paar hübsche Kerlchen dabei, die dir gefallen könnten.«

»Dann will ich keine Zeit verschwenden.« Kétill grinste. »Ich wollte schon immer meinen eigenen Sklaven haben. Mal sehen, wie gut so ein Tumbrier sich zähmen lässt.«

»Von dir im Handumdrehen, da bin ich sicher.«

Er folgte Olafúr zu dem großen Zelt, in dem sie ihre Gefangenen festhielten, und hatte Mühe, sich nicht voller Vorfreude die Hände zu reiben, während er sich unter den Männern umsah. Diese Belohnung hatte er sich wahrlich verdient. Sein Blick blieb an zwei jungen Männern hängen, die sich sehr ähnlich sahen, aber einer schien schwer verletzt und regte sich kaum noch.

»Helft ihm«, bat plötzlich eine leise Stimme. »Bitte, helft ihm.«

Kétill richtete den Blick auf den vermutlichen Zwilling des Verletzten, aber der hielt den Blick gesenkt und wirkte stumm.

»Bitte«, kam noch einmal.

Jetzt entdeckte Kétill den, zu dem die Stimme gehörte. Und in diesem Moment traf er auch seine Wahl. Denn dieser Junge war verdammt nochmal der hübscheste, rothaarige Bursche, der ihm je untergekommen war.

»Wen haben wir denn da«, murmelte er und machte einen Schritt auf den gefesselten, jungen Mann zu. »Ich sehe schon, ich werde heute Nacht den Spaß meines Lebens haben.«

»Bitte helft ihm«, wiederholte der Junge noch einmal auf holprigem Eharländisch. Seine ungewöhnlich blauvioletten Augen wirkten riesig und glänzten feucht.

Kétill verdrehte seufzend die Augen und wandte sich an Olafúr. »Schick nach dem Bader, er soll nach dem Gefangenen sehen und schauen, ob er noch was machen kann. Und du, mein Hübscher«, er richtete den Blick wieder auf seinen Auserwählten, »kommst jetzt mit mir mit.«

Der süße Rotschopf warf ihm einen irritierten Blick zu, Kétill packte ihn kurzerhand bei den Hüften und warf ihn sich wie einen Sack Getreide über die Schulter. Er war leicht wie eine Feder.

»Was habt Ihr mit mir vor?«, fragte der Junge mit angstvoller Stimme, diesmal auf Tumbrisch, was Kétill leidlich gut sprach, weil seine Mutter Wert darauf gelegt hatte.

»Ich weiß noch nicht genau, was«, erklärte er, »aber es hat etwas mit eharländisch-tumbrischer Freundschaft zu tun.« Er versetzte ihm einen spielerischen Schlag auf seinen kleinen, festen Hintern. Oh, das würde ein Fest werden!

»Bitte lasst mich runter.«

»Nein.«

»Bitte!«

»Frag freundlicher.«

»Bitte«, kam gedämpft von hinten, »eharländischer Herr, lasst mich selbst laufen und tragt mich nicht wie einen nassen Sack über Eurer Schulter.«

Kétill feixte in sich hinein. Der Kleine amüsierte ihn jetzt schon. »Ich muss kurz über deine Bitte nachdenken.« Er gab vor, einen Moment zu grübeln. »Nein«, verkündete er schließlich, »ich will dich lieber tragen.«

»He, Kétill!«, rief ihm einer seiner Männer lachend zu. »Hast du dir schon deine Beute gegriffen?«

»Ja, ja, Kétill und die zarten Buben, eine nimmer endende Geschichte!«

Der Rotschopf schien ihre Sprache offensichtlich gut zu verstehen, denn er versteifte sich merklich und begann gleich darauf, sich zu winden. »Lasst mich los!«, forderte er. »Lasst mich auf der Stelle runter!«

»Na, na«, mahnte Kétill und klopfte ihm abermals auf seinen kleinen Apfelhintern. »Gerade ging das doch noch wesentlich höflicher.«

»Und was hat das genützt? Nichts!«, keifte der Kleine. »Ihr Eharländer versteht ja auch gar nichts von Höflichkeit, dazu seid ihr zu primitiv.«

»Oho«, machten einige der umstehenden Männer. »Sollen wir dir helfen, die kleine Kratzbürste zu zähmen, Kétill? Nach der Bekanntschaft mit ein paar eharländischen Hengsten wird er sicher seine vorlaute Klappe halten.«

»Nicht nötig, den stutze ich mir schon allein zurecht«, erwiderte Kétill. »Und so gerne, wie ich ein Fass Met mit euch allen teile, aber meine Kriegsbeute habe ich lieber für mich allein.«

»Ich bin keine Beute«, begehrte der Rotschopf auf, »ich bin ein Mensch!«

»So sehr wie ich einer für dich bin?« Kétill grinste in sich hinein und betrat mit dem süßen Kerl über der Schulter sein Zelt. Mit einem erleichterten Stöhnen ließ er ihn auf das Lager plumpsen.

Der Junge prallte davon ab wie ein Springball und stellte sich vor ihn hin, die Nasenflügel gebläht, die lächerlich winzigen Hände an den Fesseln zerrend. »Warum behandelt Ihr mich so? Was ist so schwer daran, mir ein wenig Höflichkeit entgegenkommen zu lassen?«

»Ein wenig ...« Kétill prustete los. Das Lachen kam so heftig, dass er sich den Bauch halten musste. »Was ist nur mit dem verängstigten, kleinen Kerl passiert, den ich gerade noch im Zelt aufgesammelt habe?«

»Ich bin verzweifelt und habe nichts zu verlieren«, erklärte der andere und reckte das zierliche Kinn. »Den Worten Eurer Kumpane entnehme ich, dass Ihr unmoralische Dinge mit mir vorhabt. Um der Liebe des heiligen Lamms willen muss ich darauf drängen, dass Ihr von diesem Vorhaben ablasst und mich standesgemäß behandelt.«

»Wenn du so weiterfaselst, dann lasse ich dich standesgemäß an meinem Fußende schlafen.« Der Kleine schnappte nach Luft und lief fast so dunkelrot an wie seine Haare. »Also, setz dich hin.«

»Aber–«

»Setz dich hin, habe ich gesagt.«

Er gehorchte, aber Kétill sah, wie es in seiner stupsnasigen Miene arbeitete. Wütend war er leider noch sehr viel niedlicher. Kétill löste die Fesseln von seinen Händen und der Kleine schüttelte schnaubend die Handgelenke.

»Wir werden heute Nacht ein bisschen spielen. Nur du und ich.«

»Was für ein Spiel?«

»Ich dachte an so etwas wie: Der kleine Tumbrier und der böse Eharländer

Der Rotschopf verschränkte die Arme. »Ich bin ganz passabel im Damespiel, wie wäre es damit?«

»Meine Dame kannst du gerne spielen, wenn dir das Spaß macht, solange du mir am Ende als deinem Galan die Beine öffnest.«

»Ich meinte das Brettspiel«, kam säuerlich zurück.

»Und ich das Bettspiel.«

»Ich bin ein Mönch«, erklärte der andere plötzlich. »Ich habe ein Keuschheitsgelübde geleistet. Es wäre eine schwere Sünde, wenn Ihr Euch an mir vergreift.«

»Sagt wer?«

»Der Allvater.«

Kétill zuckte mit den Schultern. »An den glaube ich nicht. Und so einen lustigen Betbruder wollte ich mir schon immer einmal schnappen. Mir scheint, als sei heute wirklich mein Glückstag.«

»Ihr wolltet Euch einen Betbruder schnappen?«

»Klar. Für meine Sammlung.«

»Für Eure ...« Der Rotschopf schüttelte den Kopf und vergrub das Gesicht in den Händen. »Herr, ist das die Strafe für meine Anmaßung?«, murmelte er. »Entreißt du mich dem einen Monster und verfütterst mich an das nächste?«

»Monster?« Jetzt verschränkte Kétill die Arme. »Also so langsam bin ich ein wenig beleidigt. Um es mit deinen Worten auszudrücken: Ich bin ein Mensch.«

»Dann benehmt Euch wie einer und fallt nicht wie ein wildes Tier über mich her.«

»Wie ein wildes Tier? Ich muss zugeben, dass mir deine sehr bildhaften Fantasien gefallen. Du hast also schon weitergedacht und dir bereits vorgestellt, wie ich so bin, wenn ich–«

»Das ist ja wohl offensichtlich. Es heißt ja auch immer, dass die Eharländer wie die Tiere seien.«

»Und bei uns heißt es, die Tumbrier seien selbstherrliche Gockel. Ich glaube, an jedem Gerücht ist etwas Wahres dran.« Kétill ließ sich neben seiner schwatzhaften Kriegsbeute nieder und musterte sie. »Sag mir deinen Namen.«

»Touenot«, kam nach einem Moment des Zögerns.

»Und jetzt deinen richtigen Namen.«

»Dâlpheus.« Sein Augenlid zuckte.

Kétill räusperte sich. »Ich warte.«

»Leân«, antwortete er schließlich. »Mein Name ist Leân.«

»Ah, Leân also.«

Der blickte auf. »Wieso glaubt Ihr mir das und die anderen Namen nicht?«

»Weil du nicht wie ein Dâlpheus aussiehst, oder wie ein Touenot. Was für blöde Namen.«

»Das sind Heiligennamen!«

»Ja, eben. Leân passt jedenfalls besser zu dir, ob’s nun stimmt oder nicht. Und jetzt beantworte mir eine Frage: Welchem Monster hat dich dein Gott denn entrissen?«

Leân wandte sich ab und zog unbehaglich die Schultern nach oben. »Das spielt keine Rolle.«

»Ich will’s trotzdem wissen. Mir wird nämlich gerade erst die Tragweite dieser Äußerung klar.« Kétill beugte sich zu ihm nach vorn und griff nach seiner Hand, die ihm sofort entzogen wurde. »Haben sich meine Männer etwa schon an dir vergangen?«

Leân schüttelte stumm den Kopf.

»Wer dann?«

»Niemand. N-noch nicht.«

»Aber jemand war im Begriff, es zu tun? Jemand anderes als ich?«

Der Junge nickte.

»Wer war es?«

Ein langes Seufzen. »Der König«, kam leise zurück.

Kétill stutzte und für einen Moment blieb ihm der Mund offen stehen. »Du siehst deinen König als Monster?«

»Er hatte genau die gleichen, unmoralischen Dinge mit mir vor wie Ihr. Wollte mich in sein Bett holen, obwohl ich ihn anflehte, es nicht zu tun. Ich betete für meine Rettung, und dann hieß es plötzlich: Die Eharländer stehen hinter dem Hügel, wir müssen angreifen. Tja, und nun bin ich hier.« Er ließ die schmalen Schultern hängen. Er war so schön, dass es Kétills Herz zum Rasen brachte.

»Ist es nicht das Recht eines Königs, frei über seine Untertanen zu verfügen?«

»Seht Ihr das so?« Die violettblauen Augen blickten auf. »Mir wurde beigebracht, dass ein König seine Untertanen beschützen und ihnen Gutes tun soll. Aber König Morcar, er ...«, seine Augen füllten sich mit Tränen, »er tut einfach immer das Gegenteil.«

»Du Armer.« Mitleidsvoll strich ihm Kétill über die Schulter. Dann traf ihn eine plötzliche Erkenntnis. »Oho, du bist gut!«

»Wie bitte?«

Kétill lachte auf und knuffte ihn in die Seite. »Du bist wirklich gut, du Fuchs! Beinahe wäre ich darauf reingefallen. Du kannst das echt gut mit diesen wässrigen Augen und der bebenden Unterlippe und allem.«

»Da-das war kein Scherz!«, kam entrüstet zurück und das Entsetzen im Blick sah schon wieder so täuschend echt aus.

»Nein, natürlich nicht. Und jetzt zieh deine Kutte und deine Bruoche aus, Onkel Kétill will seine Kriegsbeute begutachten.«

»Gar nichts dergleichen werde ich tun! Und Onkel Kétill? Macht Euch nicht lächerlich, Ihr seid doch gar nicht viel älter als ich!«

»Ich bin deutlich älter als sieben.«

»So so, und Ihr wollt Euch gerade an einem Siebenjährigen vergreifen?«

»Bei den Göttern!«, heulte Kétill auf und warf die Arme in die Luft. »Du schaffst es wirklich noch, dass ich mich schlecht fühle. Jetzt zieh dich aus, du bist meine Beute.«

»Und wenn ich’s nicht tue?«

»Dann suche ich mir einen anderen aus, zum Beispiel den Zwillingsbruder des Kerls, für den du so um Hilfe gebettelt hast. Dich aber, mein störrischer Freund, reiche ich dann an meine Männer weiter, um ihren Spaß mit dir zu haben. Und glaub mir, die haben ganz andere Antworten auf dein freches Mundwerk.«

Leân begann sich plötzlich so hastig auszuziehen, dass Kétill erneut losprustete und erst einmal einen Schluck Met brauchte, um sich zu beruhigen. »So ist es brav.« Er stellte seinen Trinkbecher zur Seite und legte ebenfalls seine Kleider ab. Nackt wie er war, streckte er sich schamlos in alle Himmelsrichtungen und wies schließlich auf das Lager. »Leg dich hin.«

 

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