Kitty Vegas

Leseprobe


Diesmal musste er sich Kittys Show nicht von einem Seitentisch aus ansehen, sondern wurde in einen speziellen VIP-Bereich gebracht, von dem er alles aus nächster Nähe beobachten konnte. Es handelte sich um eine Art Box mit einer bequemen Couch und einem Tisch, privat genug, um nicht mit anderen Besuchern interagieren zu müssen, aber offen genug, um alles im Blick zu haben. Der Saal wurde dunkel. Die Nebelmaschinen hüllten die Bühne in diffuse Schwaden und zu den Klängen von Thunderstruck fuhr Kitty mit einem Motorrad auf die Bühne. Mit einem Motorrad. Ungläubig schüttelte Rick den Kopf. Kitty war einfach unglaublich. Vermutlich konnte man seine Show jeden Abend besuchen und bekam immer etwas Neues geboten.

Er begann, zu singen – wesentlich besser als der Sänger von AC/DC – und bewegte sich dazu wie ein Wirbelwind über die Bühne. Er trug eine dieser seltsamen Schuluniformen wie Angus Young, aber er sah darin nicht lächerlich aus, sondern vielmehr interessant. Wer auch immer behauptete, dieser Kerl sei nichts als ein Stripper, war selbst nichts als ein Dummkopf.

Der eigentliche Striptease, bei dem sich Kitty bis auf eine äußerst knappe, schwarze Latexshorts auszog, begann mit dem nächsten Lied. Der Tanz an der Stange mit dem übernächsten. Es würde wohl nie aufhören, Rick zu faszinieren, wie sehr Kitty seinen Körper, jeden einzelnen Muskel, unter Kontrolle hatte. Wie geschmeidig er sich bewegte, der Schwerkraft trotzte, sich präsentierte.

Plötzlich verließ er die Bühne. Und steuerte direkt auf Ricks Box zu. Mit einem provokanten Lächeln stieg er auf den Tisch und setzte dort seinen heißen Tanz fort, kreiste mit den Hüften, ging in die Hocke und strich sich über den perfekten, tätowierten Oberkörper.

Rick stand in Flammen. Alles in ihm schrie wie der grölende Metalgesang aus den Lautsprechern. Er könnte über Kitty herfallen. Jetzt, hier, sofort. Schmutzigen Männersex haben, tabulos, etwas, was Rick Callahan nie tun würde, aber vielleicht Ruy Morillo.

Geschmeidig wie ein Panther kroch Kitty über den Tisch und brachte seinen Mund direkt neben Ricks Ohr. »Komm nachher in meine Garderobe, du irischer Bastard.«

Ja. Ja, natürlich komme ich. Schon allein, weil wir reden müssen. Über mehrere Dinge. Und noch etwas anderes, was ich nicht mal in Gedanken auszusprechen wage.

Kitty kehrte auf die Bühne zurück und beendete seine fulminante Show. Rick wartete nicht lange, ehe er aufstand und sich auf den Weg zu den Garderoben machte.

»Wartet hier«, bat er seine Leibwächter.

»Sicher, Señor?«, fragte der eine skeptisch.

»Ja. Bleibt in der Nähe der Tür, aber ich habe etwas Privates mit Mr. Vegas zu besprechen.«

Die beiden ließen sich nicht anmerken, was sie davon hielten. Ganz professionell. Gut so. Sie waren kaum in das eingeweiht, was hier vorging, und je weniger sie wussten, desto besser. Sie sollten die respekteinflößenden Begleiter im Hintergrund sein, nicht weniger und nicht mehr.

Für einen kurzen Herzinfarktmoment befürchtete Rick, vor Kittys Garderobe auf den Sicherheitsmann vom letzten Mal zu treffen und schlimmstenfalls erkannt zu werden. Schließlich hatte er damals noch nicht mit Akzent gesprochen. Aber glücklicherweise war es ein anderer.

»Ruy Morillo«, stellte er sich mit einer gewissen Arroganz im Tonfall vor, »ich bin Mr. Ponticellis Gast. Kitty erwartet mich bereits.«

Diesmal stellte keiner dumme Fragen oder beäugte ihn misstrauisch. Der Kerl klopfte an Kittys Tür und auf einen Ruf von drinnen öffnete er sie für Rick. Er trat ein und schloss sie hinter sich. Kitty saß auf dem Rand seines Schminktischs, die Beine ausgestreckt und überkreuzt. Die Arme verschränkt. Der Blick düster.

»Du bist sauer«, schloss Rick. Vorsichtshalber behielt er seinen kolumbianischen Akzent bei, weil man nie wissen konnte, wer zuhörte.

»Freunde, ja?« Kitty stieß sich von dem Tisch ab und machte zwei Schritte auf Rick zu. Noch immer trug er seine Heels und ragte damit turmhoch vor ihm auf. Die Katzenohren lagen auf dem Tisch. »Stell mir deine Scheißfragen in Zukunft selbst, anstatt Boss. Es sei denn, du stehst drauf, mich zu demütigen. Nur dummerweise stehe ich da nicht drauf.«

»Es tut mir leid«, sagte Rick leise.

»Tja.« Kitty packte ihn unsanft am Arm. »Komm mit.« Er zog ihn hinüber in das angrenzende Badezimmer und schloss auch dort die Tür. »Du musst jetzt nicht mehr mit Akzent sprechen, hier hört garantiert keiner mit, das versichere ich dir. Obwohl der Akzent ziemlich heiß klingt.« Er verengte die Augen, seine Mundwinkel zuckten. »Du hast großes Glück.«

»Warum?«

»Weil du verdammt noch mal genial bist!«, fuhr Kitty ihn unerwartet heftig an. »Scheiße, Mann. Ich geb’s zu, ganz ehrlich, ich hatte Zweifel. Ich hab mir fast in die Hose gemacht. Aber in der Sekunde, in der Ruy Morillo die Dachterrasse betreten hat ... fuck. Ich meine, ich hatte so ein Urvertrauen in dich, darum wollte ich dich und keinen anderen, aber du hast mich trotzdem überrascht. Ich hab’s dir jede Sekunde abgekauft. Du warst so echt, dass ich zwischendurch vergessen habe, dass es eine Rolle ist.« Er atmete heftig.

»Es ist wie ein Rausch!«, brachte Rick aufgeregt hervor und packte Kitty bei den Armen. »Ich ... ich bin richtig high. Es fühlt sich gut an. Es ist wie früher. Ich hab’s noch drauf. Dieses Stück, das mir die ganzen Jahre gefehlt hat, ist wieder aufgetaucht. Ich habe wieder einen Nutzen.« Auch er atmete hastig, sein Herz raste, pumpte Adrenalin und Erregung durch seine Adern. »Aber ich kann nicht mehr, Kitty.«

»Was?« Kitty zog die Brauen zusammen und wich einen Schritt zurück. »Was soll das heißen? Es hat doch gerade erst begonnen.«

»Nein, ich meine: Ich kann nicht mehr ... dir widerstehen.«

Kitty stutzte einen Moment, bevor sich Erkenntnis in seiner Miene ausbreitete. »Du meinst ...?«

»Ja. Ja!« Rick lehnte sich gegen die kühlen Fliesen. Er hatte das Gefühl, zu verbrennen.

»Ich sage ja, du hast verdammtes Glück. Ich bin zwar sauer auf dich, aber was ich noch mehr bin, als sauer, ist geil.« Er glitt zu Rick heran und legte ihm eine Hand um die Kehle. Kam nahe. Gefährlich nahe. Bis keine Distanz mehr möglich war und ihre Lippen sich trafen. Er war verloren.

 

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