Polarnächte

Leseprobe


Jetzt lächelte auch Roman und Leevis Herz schlug so heftig gegen seine Brust, dass es schmerzte. Ohne Zweifel, er war schon verknallt gewesen, als Michael ihm ein Bild von Roman gezeigt hatte, und noch mehr, seit er diesen vor wenigen Stunden das erste Mal am Flughafen gesehen hatte. Jetzt allerdings wurde es so schlimm, dass ihm davon übel wurde, weil ihm von seinem Herzrasen der Kreislauf verrückt spielte. Lieber Gott, kannst du bitte dafür sorgen, dass er sich in mich verliebt?, betete er stumm. Er hatte zehn Tage Zeit, um Roman dazu zu bringen. Immerhin war dieser hierher gekommen, zu ihm ans Ende der Welt. Das bedeutete doch, dass er ihm eine Chance geben wollte, oder nicht? »Soll ich den Kamin nochmal anheizen?«, fragte er, weil er trotz seiner inneren Hitze bemerkte, dass das Haus langsam ein wenig auskühlte.

»Das wäre nett, ja«, entgegnete der andere. »Ich weiß nämlich nicht so richtig, wie das geht.«

Leevi ging mit Roman zum Kamin und zeigte ihm, wie man das Holz richtig schichtete und ein Feuer entzündete. »Vergiss nicht, den Abzug oben zu öffnen. So eine Kohlenmonoxidvergiftung holt man sich nur einmal im Leben, denn danach ist keins mehr übrig.«

»Oha. Ja, da passe ich mal lieber auf.« Roman wirkte ziemlich erschrocken und Leevi beschloss, sicherheitshalber mehrmals am Tag zur Kontrolle zu kommen. Immerhin ein Vorwand mehr, Roman möglichst häufig aufzusuchen.

Ein wenig verlegen standen sie sich gegenüber, bis Leevi sich räusperte. »Ich gehe dann mal«, murmelte er. »Wenn du irgendwas brauchst, komm einfach rüber ins Haus oder schreib mir eine Mail, dann komme ich her.«

»In Ordnung.«

»Also dann.« Er warf seinem Gast ein scheues Lächeln zu, während er sich Jacke und Stiefel anzog. »Gute Nacht und schöne Träume.«

Roman nickte und schien ein wenig abwesend. »Ja, du auch.«

Leevi verließ das Haus und atmete einmal tief durch, als er die Tür hinter sich schloss. Ihm war schwindelig, denn seine Gefühlswelt hatte sich zu einem wilden Achterbahnritt entschlossen. Er konnte kaum an Roman denken ohne rot zu werden. Allerdings gab es da ein kleines Problem: der andere schien sich kaum für ihn zu interessieren, jedenfalls wich er ständig seinen Blicken aus und war eher von der wortkargen Sorte. Vielleicht braucht er ja nur ein Weilchen, um aufzutauen, sprach er sich selbst Mut zu, und Auftauen ist hier im winterlichen Lappland ja eher eine schwierige Angelegenheit. Er selbst, Leevi, mochte keine sonderlich beeindruckende Person sein, aber wenn er seinem Gast dessen Aufenthalt so schön wie möglich gestaltete, brachte dieser die positiven Gefühle vielleicht mit ihm in Verbindung und sah ihn mit anderen Augen.

Eigentlich war es vollkommen verrückt, sich so in diese Sache hineinzusteigern. Der Mann war im Grunde genommen ein Fremder. Sie waren sich nie zuvor begegnet, er kam sogar aus einem anderen Land. Und trotzdem hatte Leevi Hoffnung. Nicht nur, weil Michael der Meinung war, dass sie beide sich guttun würden, sondern vielleicht auch ein wenig, weil Weihnachten immer für Hoffnung stand. Für Frieden und Besinnlichkeit und den Wunsch, dass alles besser werden würde, auf der ganzen Welt, besonders aber in der eigenen. Und gegen dieses Kribbeln im Bauch, das sich sowieso gegen jede Vernunft stellte, war man ohnehin machtlos. Warum also nicht auf das Beste hoffen? Was hatte er schon zu verlieren? Richtig – nichts. Er hatte hier und da ein paar kurze Beziehungen gehabt, als es ihn mit Anfang zwanzig für drei Jahre in die Hauptstadt gezogen hatte, aber seine Sehnsucht nach seiner lappländischen Heimat war größer gewesen und so war er zur heimischen Schlittenhundefarm zurückgekehrt, die er inzwischen ganz allein führte, da seine Eltern vor wenigen Jahren innerhalb kurzer Zeit verstorben waren.

Leevi war nicht wirklich allein, denn er hatte Nachbarn, die ihm gute Freunde waren. In einer solch kleinen Dorfgemeinschaft hielten sie alle zusammen. Aber natürlich konnten die Nachbarn ihm keinen Partner ersetzen. Und nach einem solchen sehnte er sich an den langen Abenden, an denen er am Kaminfeuer hockte und nichts rechtes mit sich anzufangen wusste. Er hatte sich oft vorgestellt, wie ein Mann bei ihm saß, einen Arm um seine Schultern, und er seinen Arm um die Taille des anderen. Sie würden miteinander reden oder einfach schweigen und die Gegenwart des anderen genießen. Jetzt stellte er sich Roman an seiner Seite vor. Überlegte, wie es wohl gewesen wäre, wenn er jetzt nicht gegangen, sondern bei ihm geblieben wäre. Aber er wollte ihn nicht schon am ersten Abend überfordern. Er war schließlich selbst schon ziemlich mit seinen Gefühlen überfordert.

Nachdem er in seinem Haus angekommen war und sich ausgezogen hatte, schrieb er eine Mail an Michael:

 

Hei mein Freund,

 

mein Gast ist gut angekommen. Allerdings werde ich den Eindruck nicht los, dass er nicht so richtig auf das vorbereitet war, was ihn hier erwartet. Ich hoffe, das wird kein großer Reinfall für ihn.

 

Liebe Grüße

Leevi

 

Seufzend lehnte er sich zurück und warf einen verstohlenen Blick aus dem Küchenfenster, von dem aus er das Gästehaus im Blick hatte. Dort brannte noch Licht. Er fragte sich, was Roman wohl gerade machte. Ob das Essen ihm auch wirklich geschmeckt hatte? Ob es noch warm genug in der Hütte war?

Vielleicht sollte er Roman morgen einmal ganz unverbindlich in seine hauseigene Sauna einladen. Hier in Finnland war das Saunieren eine ziemlich gesellige Angelegenheit, in der die Gesprächsatmosphäre viel lockerer war als anderswo. Vielleicht konnte auch Roman sich im wahrsten Sinne des Wortes dafür erwärmen. Ja, das klang nach einer guten Idee.

Leevi hatte sich gerade in seinen Sessel zurückgelehnt, als hinterm Haus, in der Nähe des Hundezwingers, das Licht anging. Der Bewegungsmelder reagierte nicht auf Kleintiere, also musste da etwas – oder jemand – Größeres sein. Ein Blick hinüber zum Gästehaus verriet, dass es offenbar nicht Roman war, der herüberkam, denn dort brannte noch Licht und er meinte auch, seine Silhouette hinter den Vorhängen zu erkennen. Es war nicht das erste Mal, dass jemand bei Nacht auf Leevis Grundstück herumzuschleichen schien. Er beobachtete seit Tagen, wie immer wieder der Bewegungsmelder anging und die Hunde nervös wurden, aber er konnte des Eindringlings nicht habhaft werden. Allerdings hatte er einen Verdacht.

 

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