Used

Leseprobe


Es war verrückt, was er hier tat. Er war verrückt. Wahrscheinlich überarbeitet und urlaubsreif. Ein paar freie Tage, vom Wochenende abgesehen, würden ihm sicher helfen, wieder einen klaren Kopf zu bekommen, aber das war momentan nicht möglich. Die Zeit drängte, und dieses immens wichtige Projekt, das er betreute, duldete keine Trödelei. Zu groß war das Risiko, dass einer der beiden Beteiligten sonst wieder absprang.

Wahrscheinlich ist der Stricher gar nicht da.

Niemand garantierte ihm, dass der immer dort herumlungerte, und selbst wenn, dann mochte er Kundschaft haben, mit der er sich wer weiß wohin verzogen hatte. Und dafür verfuhr Sylvain sinnlos Sprit. Es hatte Zeiten in seinem Leben gegeben, in denen sein Umweltbewusstsein deutlich ausgeprägter gewesen war als jetzt. Aber rationale Bedenken verhallten in dieser Angelegenheit sowieso im Nichts. Er musste sich selbst vor Augen führen, wie dumm und sinnlos es war und wie ernüchternd die Realität.

Ihm fiel erst auf, wie sehr er gerast sein musste, als der Truck Stop schon nach unter zwei Stunden Fahrtzeit in Sicht kam. Hätten Cops auf der Lauer gelegen und ihn erwischt, wäre das vermutlich ziemlich teuer geworden. Mit zunehmender Nervosität fuhr er auf dem Parkplatz ein und hielt Ausschau nach dem Stricher. Der war wie bereits befürchtet nirgendwo zu sehen.

Gott sei Dank. Und Scheiße.

Es war besser so, auch wenn er umsonst hierhergefahren war. Wie eine kalte Dusche. Er hielt an und stieg aus. Wenn er schon einmal hier war, dann konnte er auch gleich frühstücken, denn er war hungrig und durstig, weil er direkt nach dem Aufstehen losgefahren war. Er ging hinein in das kleine Diner, das sich in dem Gebäude neben dem Shop befand, und nahm an einem Tisch in der Ecke Platz. Die Bedienung wurde sofort auf ihn aufmerksam, weil er neben einem anderen Mann, der bereits aß, der einzige Gast war.

»Guten Morgen. Was darf’s denn sein?«

»Ein schwarzer Kaffee und ein großes Rührei mit Speck, bitte.«

Sie nickte und wandte sich ab. Da saß er also, wie der letzte Idiot, und schämte sich vor sich selbst. Er war ein Mann, der normalerweise mit beiden Beinen im Leben stand. Wie konnte es sein, dass er sich zu so einer lächerlichen Aktion hatte hinreißen lassen?

Der Reiz des Neuen, des Besonderen. Die Abwechslung zu einem routinierten Leben. Etwas Verrücktes tun.

Und das hier war zweifellos verrückt, so etwas erlaubte er sich sonst nie. Nun wusste er allerdings auch wieder, wieso. Es war die reine Zeitverschwendung.

Die Bedienung brachte ihm sein Frühstück, das zu seiner Überraschung sehr üppig und appetitlich aussah, und im gleichen Moment betrat jemand das Diner. Sylvain blickte auf. Um ein Haar wäre ihm die Gabel aus der Hand gefallen.

»Hey Betty, hast du einen Kaffee für mich?«

»Wenn du ihn bezahlen kannst.«

Es war der Stricher. Er trug die gleiche, verwaschene Kleidung wie gestern und wirkte müde. Sofort flammte alles wieder auf und brannte die vernünftigen Gedanken, die sich Sylvain gerade gemacht hatte, gnadenlos nieder. Trotz der klimatisierten Umgebung brach ihm der Schweiß aus und das Pochen in seinen Lenden nahm von Sekunde zu Sekunde zu. Das war nicht mehr normal.

Und dann drehte der Kerl sich um und entdeckte ihn. Seine Augen weiteten sich und er machte zwei, drei Schritte auf ihn zu, bevor er wie angewurzelt stehenblieb. Sein Gesichtsausdruck wirkte verunsichert, als überlegte er, ob er ihn ansprechen sollte oder nicht.

»Hi«, sagte er schließlich.

»Hallo«, gab Sylvain mit belegter Stimme zurück.

»So früh schon wieder hier unterwegs?«

Er nickte stumm und starrte auf diese Lippen, die sich gestern ...

»Du willst aber nicht deine fünfzig Dollar wieder, oder?«, fragte der andere merklich verunsichert. »Die habe ich nämlich schon ausgegeben.«

Und wofür? Für Essen, hoffe ich.

»Ich will sie nicht wieder, aber ...« Er stockte.

»Aber?«

Nervös sah sich Sylvain im Diner um. Der eine Gast machte sich gerade auf den Weg hinaus, ohne sie beide eines Blickes zu würdigen. »Komm doch her und setz dich.«

Zögerlich folgte der Stricher seiner Bitte und ließ sich ihm gegenüber am Tisch nieder. »Ist irgendetwas nicht in Ordnung?«

»Doch.« Sylvain räusperte sich. »Alles ist gut. Ich wollte dich nur etwas fragen.«

»Dann schieß los.«

Noch während er im Kopf nach der richtigen Formulierung suchte, kam die Bedienung und brachte den Kaffee. »Der geht auf mich«, verkündete er und sowohl der Kerl, als auch die Kellnerin warfen ihm einen erstaunten Blick zu. »Also.« Er senkte die Stimme. »Ich wollte fragen, ob du ... ob du noch mehr machst als das gestern.«

»Du meinst, ob du mich auch ficken kannst?«, versetzte der Stricher unbekümmert. »Klar. Kostet dann aber mehr als einen Zehner.«

»Wie viel?«

»Dreißig.«

»Nur dreißig Dollar?« Schon wieder spürte Sylvain diesen merkwürdigen Zorn in sich aufsteigen. Es war nicht richtig, dass jemand seinen Körper für so wenig Geld verkaufte. Genauso wenig wie es richtig war, dass er bereit war, dieses Geld zu zahlen.

»Für dich fünfzig, wenn du immer unbedingt mehr hinlegen willst«, gab der andere zurück und zwinkerte ihm neckisch zu.

Sylvain wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, als ihm etwas auffiel. »Was ist das da an deinem Hals?«

»Was? Oh, das.« Der Stricher fasste sich an die rötlich violette Spur, die sich kreisförmig um seinen schlanken Hals zog. »Das ist nichts weiter, mach dir keine Sorgen darum.«

Es sieht aus wie ein Würgemal. Was tust du für Geld wirklich noch alles?

»Wie ist dein Name?«

»Meiner? Max. Warum willst du den wissen?«

Damit ich von dir nicht immer nur als »der Stricher« denken muss.

»Weil ich neugierig bin. Max also.«

»Ja. Und du?«

»George«, erwiderte Sylvain spontan. Er hatte natürlich nicht vor, hier unter seinem richtigen Namen aufzutreten.

»Hey George. Schön, dich kennenzulernen.«

»Ganz meinerseits.« Sylvain reichte ihm förmlich die Hand und nach einem kurzen Zögern wurde sie von Max ergriffen und geschüttelt. Wie bei Geschäftspartnern. Aber das waren sie ja im Grunde auch.

»Also, ich lass dich dann mal aufessen.« Max stand auf und nahm seine Kaffeetasse in die Hand. »Wenn du mich suchst, ich bin hinter dem Gebäude.«

Bleib doch hier, dachte Sylvain, aber er ließ ihn gehen. Er musste sich eingestehen, dass er nicht wirklich darüber nachgedacht hatte, was er tun sollte, wenn er den Stricher - Max – hier wirklich antraf. Und nun hatte er praktisch eine Verabredung zum Sex. Sex gegen Geld.

Etwas Verrückstes tun.

 

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