Van Helsing und der steile Zahn

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Den vergangenen Tag habe ich damit verbracht, diverse Fallen aufzustellen, in der Hoffnung, dass mir einer ins Netz geht. Meine selbst gebauten Vorrichtungen sind todsicher. Ich habe beinahe zwanzig Jahre Erfahrung im Fallenbau und nach einer so langen Zeit muss so ein Ding doch schließlich mal funktionieren. Da ich aber ein gründlicher und sehr pflichtbewusster Vampirjäger bin, lege ich mich selbstverständlich auch noch höchstpersönlich auf die Lauer. Natürlich habe ich grenzenloses Vertrauen in die Funktion meiner großartigen Fallen, aber ... man kann ja nie wissen. Also streife ich bei Nacht im Wald umher – zumindest dort, wo der Vollmond hinscheint – und beäuge misstrauisch jeden transsylvanischen Busch. Was für ein Scheißjob.

Je mehr Stunden vergehen, desto größer werden meine Zweifel. Was, wenn ich es nicht schaffe, einen Vampir zu fangen? Weder tot noch lebendig? Lassen die mich dann zu Hause überhaupt wieder rein, oder muss ich den Rest meines Lebens in Transsylvanien verbringen, zwischen Maisbrei und Eselskarren? Das wäre – oh! Wen haben wir denn da ...

Eilig gehe ich hinter dem nächsten Gebüsch in Deckung und pirsche mich an. Irgendetwas baumelt in der mondhellen Lichtung an einem Baum, an dem ich heute Morgen eine Falle angebracht habe. Mir wird doch nicht gleich am ersten Tag einer ins Netz gegangen sein? Das wäre ein geradezu unverschämtes Glück! Wer oder was auch immer es ist, es zappelt wie ein Fisch an der Angel. Jetzt muss ich mich nur noch lautlos anschl–

Ein Ast knackt deutlich hörbar unter meinen Füßen. Mein Opfer zuckt erschrocken zusammen. Was offenbar das letzte bisschen war, das gefehlt hat, um es zu befreien. Mit einem lauten Krachen, begleitet von einem kleinen Kreischen, fällt es herunter. Verflucht!

Notgedrungen komme ich aus meiner Deckung und schleiche mich an ihn heran. Warum habe ich Depp eigentlich meine Armbrust zu Hause gelassen? Wenn es – o Gott, wieso hat er nichts an?

»Waaah!«, schreit er, als er mich entdeckt, und hält sich eilig die Hände vors Gesicht.

Wieso vors Gesicht? Wieso nicht vor seinen mächtigen, großen, dicken, Van Helsing, was denkst du da gerade?

»Was tun Sie hier?«, frage ich vorsichtig. Ich bin mir ehrlich gesagt nicht ganz sicher, mit welcher Spezies ich es gerade zu tun habe. »Und wieso bedecken Sie ihr Gesicht?«

»Weil ich nackt bin!«, kommt in einem quengeligen Tonfall zurück.

Hä? »Aber sollten Sie da nicht eher Ihre ... Glocken bedecken?« Schon wieder saugen sich meine Augen an der verschwenderischen Ausstattung des Fremden fest. Mein eigenes Würstchen ist sich nicht ganz sicher, ob es Hallo sagen oder sich verschämt zurückziehen soll.

»Wieso denn?«, gibt der Kerl zurück. »Ich weiß ja nicht, woran die Leute dich wiedererkennen, aber mich erkennen sie am Gesicht und nicht an meinen Kronjuwelen!«

»Okay.« Ich kann nicht anders, als debil auf diesen blassen, hochgewachsenen, äußerst wohlgeformten Körper zu starren. Auf die langen, schlanken Beine, die schmalen Hüften, den flachen Bauch, die überraschend dunklen Brustwarzen und immer wieder auf dieses ... Naturphänomen zwischen seinen Beinen. Das ist nicht gut. Sag was, schnell! »Sie haben mir immer noch nicht gesagt, was Sie hier machen.«

»Na was wohl?«, erwidert der Mann und schüttelt sich die letzte Masche des Netzes vom Fuß. »Mondscheinbaden. Glaubst du etwa, so ein entzückend blasser Teint hält sich von alleine?«

Ich schlucke heftig. Es fühlt sich an, als würden Kronjuwelen meine Kehle verstopfen. »Würden Sie ihre Hände vielleicht doch lieber vor Ihre Geschlechtsteile anstatt vor Ihr Gesicht halten?«, bitte ich flehentlich.

»Na schön.«

Der Kerl lässt die Hände sinken. Van Helsing, alter Knabe, es wird einfach nicht besser. Das ist zu viel. Wer hat diesem Kerl eigentlich erlaubt, so hübsch auszusehen? Mit diesem gemeißelten Kinn, den hohen Wangenknochen, dem verführerischen Amorbogen und Augen in der gleichen Farbe wie seine Haare, die im Mondlicht schimmern: dunkelrot. Moment – dunkelrot? Das kann nur eins bedeuten: Vampiralarm! Oder?

»Wie heißen Sie denn?«, frage ich so lässig wie möglich. Der darf bloß nicht merken, dass ich ihm auf der Spur bin, bis mir irgendwie eingefallen ist, wie ich ihn zurück in das Netz verfrachte.

»Catalin Țepeș Dracula mein Name«, stellt er sich vor und streicht sich ein wenig selbstverliebt durch das halblange Haar. »Und selbst?«

»Ha!«, entfährt es mir und ich räuspere mich hastig. »Ich meine, angenehm.«

»Angenehm? Das ist aber ein schöner Name.«

»Nein, nein, ich meine: Angenehm, Sie kennenzulernen.«

»Ach so!«, ruft er und reicht mir die Hand, mit der er eben noch seine Glocken festgehalten hat. »Na, und wie ist denn jetzt dein Name?« Seine Miene erhellt sich und er klatscht sich gegen die Stirn, bevor ich die Hand ergreifen kann. »Ach, ich Dussel, das hast du mir ja schon gesagt. Dein Name ist Ha. Nimm’s mir nicht übel, aber das ist ein doofer Name. Wenn du dich damit irgendwo vorstellst, dann denken die Leute ja, du lachst.«

Ist der bescheuert? »Mein Name ist nicht Ha«, erkläre ich gedehnt.

»Ja wie denn nun?« Er wirkt regelrecht überfordert. So hübsch, wie er ist, aber die hellste Kerze auf der Torte scheint er nicht zu sein.

Was mache ich denn jetzt? Gebe ich mir einen Decknamen? Wenn ja, welchen? Ich schwanke noch zwischen Guildo Horn und Udo Lindenberg, als Dracula einen interessierten Blick auf meinen Schritt wirft.

»Also, wie ist das«, fragt er im Plauderton, »gehen wir jetzt ins Gebüsch und vögeln eine Runde?«

Wie bitte?

Ich taumele ein paar Schritte zurück. Habe ich mich etwa gerade verhört? »W-was meinen Sie denn damit?«, stammele ich irritiert. Vielleicht hat Vögeln für den Kerl ja eine völlig andere Bedeutung. Zum Beispiel Nachtigallen beobachten und mit den undefinierbaren Krümeln füttern, die sich immer auf dem Boden einer Manteltasche ansammeln. Zumindest in meiner.

»Kennst du das nicht?«, gibt er verwundert zurück. »Ich verstecke meine Kronjuwelen in dir oder du in mir? Ich bück mich, du bestückst mich? Wir verlegen unsere Rohre? Ich zeig dir meine Briefmarkensammlung? Du bürstest meinen Kanal durch? Da fällt mir ein, ich muss dringend Pfeifenreiniger nachkaufen.«

»Stopp, stopp!«, unterbreche ich seine schauderhaften Erklärungsversuche. Was stimmt mit diesem nackten Kerl nicht? »Wir werden ganz bestimmt nicht ins Gebüsch gehen und es wie die Tiere treiben, schwitzend und keuchend, völlig wild und ausgehungert, leidenschaftlich und animalisch und ...« Okay, jetzt muss ich mich selbst unterbrechen. »Das geht nicht«, setze ich kurz angebunden nach und verschränke die Arme. Mein kleiner Van Helsing lässt traurig das Köpfchen hängen.

»Wieso nicht?«

»Weil man so was nicht einfach tut!«, entgegne ich hitziger als beabsichtigt. »Außerdem bist du ein Mann.« Und was für einer. Maria Muttergottes, womit habe ich das nur verdient.

»Ach, ihr immer mit eurem: Ich kann nicht mit dir schlafen, du bist ein Mann«, ätzt mein Gegenüber mit Fistelstimme, »du bist eine Frau, du bist ein Ziegenbock, du bist ein Steuereintreiber. Was habt ihr eigentlich für ein Problem?«

»Wir?«

»Na ihr Menschen!«

Wusste ich’s doch! Aber dass er so offen zugibt, ein Blutsauger zu sein, irritiert mich dann doch. Hält er sich für so überlegen, dass er nichts von mir befürchtet? Oder ist er einfach zu dumm, um zu bemerken, dass ich ihm gefährlich werden könnte? Vielleicht kann ich diese Tatsache ausnutzen.

»Wir werden jetzt nicht ins Gebüsch gehen, um zu vögeln«, erkläre ich langsam. »Wir–«

»Du bist erregt.«

»Was?«

Er zeigt auf meinen Schritt, in dem es meinen Vampirjägerpflock unwillkürlich zu seinem Objekt der Begierde hinzieht. Ich hasse mich. »Du hast einen Ständer.«

»Oh, nein, nein!«, streite ich hastig ab. »Das ist nur meine, äh ... Mini ... Axt?«

Dracula kommt einen Schritt näher, verengt die Augen und glotzt mir ungeniert auf den Hosenstall. »Sie ist wirklich mini«, stellt er fest. »Ich meine wirklich, wirklich mini. So eine unglaublich kleine Axt–«

»Ist ja gut!«, fahre ich ihn beleidigt an. »So klein ist sie nun auch wieder nicht.«

»Doch, doch, sie ist wirklich winzig«, widerspricht Dracula. »Fast wie aus einem Puppenhaus.«

»Geht’s noch?«

Er blickt auf. »Wo hast du die denn her? Mein Kumpel Igor könnte eine solche gebrauchen, er hat sehr kleine Hände und normales Werkzeug ist ihm oft zu groß. Kannst du sie mal rausholen und mir zeigen?«

»Nein, kann ich nicht!« Spricht er gerade in Metaphern, oder kauft der mir die Nummer mit der Mini-Axt wirklich ab? »Hören Sie zu, Herr Dracula.«

»Țepeș. Mein Nachname ist Țepeș, Dracula ist nur ein Beiname.«

»Na schön. Würden Sie mir den Gefallen tun und in dieses Netz steigen, das da hinter Ihnen liegt, Herr Teppich?«

»Țepeș, nicht Teppich. Tse-pesch. Am T und am S hängt jeweils ein kleiner Schwanz.« Er grinst anzüglich. »Bedeutet übrigens Pfähler.« Das Grinsen wird breiter und offenbart zwei spitze Eckzähne. Vampir-Alarmstufe rot.

Ich rolle entnervt mit den Augen und zeige auf das Netz. »Da. Bitte einsteigen, Herr Țepeș.«

»Warum genau soll ich denn jetzt in dieses Netz steigen, Herr, äh ...«

 

»Udo Lindenberg«, erkläre ich eilig. »Ich würde gern eine kleine Reise mit Ihnen unternehmen, und im Netz wird der ... Transport einfacher …«

 

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