»Du kommst vom Festland, oder?« Der Taxifahrer, der ihn am Fährhafen von Eriskay aufgelesen hatte, um ihn zur nächsten Bushaltestelle auf der Hauptinsel von South Uist zu bringen, warf ihm einen Blick durch den Rückspiegel zu.
»Aye, Glasgow.«
Witzig, dass die das hier Festland nennen. Großbritannien ist ja auch nur eine große Insel.
»Hört man. Urlaub?«
»Nae ... nicht direkt. Urlaub und ein bisschen Arbeit.«
»Ah. Und wo geht’s hin?«
»North Uist. Der Ort heißt ...« Sky sah auf den Zettel, auf dem Ben die Adresse notiert hatte. »Dallochan.«
Der Taxifahrer runzelte die Stirn. »Und du kommst von Glasgow?«
»Aye, hab ich doch gesagt. Sind Glaswegians hier unbeliebt, oder warum schauen Sie so?«
»Nae. Ich wundere mich nur gerade. Wenn du aus Glasgow kommst und nach North Uist willst, wieso bist du dann nicht direkt nach Benbecula geflogen? Von dort hättest du dann nur noch eineinhalb Stunden mit dem Bus fahren müssen und wärst da gewesen. So ... dauert’s länger.«
Sky stieß ein leises Grummeln aus und ballte die Fäuste. »Weil der, der die Anreise für mich organisiert hat, offenbar ein Arsch ist.«
»Oder das Gegenteil.«
»Das Gegenteil?«
»Aye. Er wollte bestimmt, dass du bei deiner Anreise die ganze Schönheit unserer Inseln siehst.«
Sky wagte es nicht, dem Mann zu widersprechen, denn man konnte nie wissen, wozu ein verärgerter Taxifahrer im Niemandsland so fähig war.
Die Fahrt war allerdings schnell vorbei und an der Bushaltestelle stieg Sky aus. Jetzt hieß es, eine halbe Stunde warten. Um dann noch mal dreieinhalb Stunden mit dem Bus zu fahren. Oh, er war so wütend auf Ben!
› Sag mal, was soll das eigentlich? Wieso schickst du mich über so viele Umwege nach Dallochan? Hab gerade erfahren, dass ich auch weiter nördlich hätte landen können!‹
Ben antwortete ewig nicht und Sky stand sich die Beine in den Bauch. Er war der Einzige an dieser Haltestelle und erst kurz bevor der Bus eintraf, gesellte sich ein älterer Herr zu ihm, der seinen Gruß nur mit einem unwilligen Brummen erwiderte. Western Isles? Das hier waren eindeutig die Troll-Inseln. Schotten hatten ja so ihren Ruf, und Sky war selbst einer, aber diese Insulaner fand selbst er ziemlich kauzig.
Unter Ächzen hievte er sein Gepäck in den Bus und suchte sich einen Platz. Er hatte praktisch seinen gesamten Hausstand mitgebracht; allzu viel besaß er nicht und wenn er wirklich ein halbes Jahr hierbleiben sollte – was er sich aktuell immer weniger vorstellen konnte –, dann wollte er alles bei sich haben. Von seinem Lieblings-Party-Outfit bis zu seinem Kuscheltier, einer rosa gepunkteten Robbe namens Moonie. Der Bus fuhr an und endlich schickte auch Ben eine Antwort:
› Ich wollte nicht, dass du den spektakulären Flughafen verpasst! Und so hast du mehr Zeit, dich auf deine neue Umgebung einzustimmen. Verläuft immer noch alles reibungslos bis jetzt?‹
Spektakulär? Er hatte spektakuläre Todesangst gehabt, aber vielleicht machte genau das ja den Reiz dieses sogenannten Flughafens aus. Noch mal musste er jedenfalls nicht in einem zu klein geratenen Passagierflugzeug über den Strand brettern.
› Reibungslos bis auf die Feststellung, dass ich viel schneller hätte da sein können und evtl. sogar ohne Todesangst bei der Landung ...‹
Ach komm. Genieße die Landschaft. Da ist vieles noch ganz ursprünglich.‹
Was meinte er wohl mit ursprünglich? Dass man zur Toilette noch über den Hof gehen musste? Sky bemühte sich wirklich, die vorbeiziehende Landschaft zu genießen. Heide. Grünes Zeug. Ein paar Felsen. Altmodische Häuser. Wahnsinn. Spannend wurde es nur dort, wo Wasser in Sicht kam, aber ansonsten fand er es ... langweilig. Was war eigentlich mit den Leuten los, die in diesen menschenleeren Gebieten vor Freude eine feuchte Hose bekamen?
Und windig war es! Sky hatte nur eine Flasche Haarspray dabei, um seine oft widerspenstigen Locken zu bändigen, und langsam bekam er Zweifel, dass er hier Nachschub kaufen konnte, wenn die alle ging. Gab es irgendwo einen Friseur? Oder schnitt man sich die Haare noch selbst mit Küchenschere und Suppenschüssel?
Ben hat mich in eine Art Knast geschickt, um mich vor dem Knast zu bewahren. Ich weiß nicht so richtig, wie ich das jetzt finden soll.
Auf jeden Fall war es hier nahezu unmöglich, in Schwierigkeiten zu geraten, denn ganz sicher existierte hier weder ein Straßenstrich noch eine Drogenszene. Trolle hatten kein Interesse an solchen Dingen. Sie mochten offenbar lieber Schafe und keine Nachbarn.
Nach dreieinhalb Stunden Odyssee, in denen Sky sicher viermal der Hintern eingeschlafen war und in der er sich schlussendlich mit Serienmörder-Dokumentationen auf YouTube die Zeit vertrieben hatte, kam er endlich in Dallochan an. Ein wenig verloren stand er an der Bushaltestelle, während der Bus um die nächste Kurve verschwand, und ihm fiel auf, dass er gar nicht wusste, wie er von hier zu dem Hof kommen sollte.
Aber seine Frage beantwortete sich, als neben ihm ein Nissan Pick Up hielt und der Fahrer die Scheibe herunterließ.
»Annachie Gordon?«, fragte er grußlos.
»Aye, eigentlich Sky, aber ... aye.«
Der Fahrer runzelte die Stirn, aber erwiderte nichts, sondern gab Sky mit einem Wink zu verstehen, einzusteigen.
»Wohin mit meinem Koffer?«, fragte Sky verunsichert.
»Hinten auf die Ablagefläche.«
»Aber ...«
Der Kerl hob ungeduldig eine Braue und Sky tat zähneknirschend, was er ihm sagte. Er hoffte inständig, dass sein Koffer auf der Fahrt nicht kaputt ging oder nassgeregnet wurde. Mit einem unguten Gefühl im Bauch stieg er auf der Beifahrerseite ein. Der Mann fuhr an und Sky betrachtete ihn verstohlen von der Seite. Sein halblanges Haar hatte einen satten, dunkelroten Ton und er trug einen sorgsam gestutzten Vollbart. Er hatte einen hellgrauen Wollpullover mit Zopfmuster und eine fleckige Jeans an, was ihn altbacken wirken ließ, obwohl er gut in Form zu sein schien. Zwischen seinen Brauen über den dunklen Augen hatte sich offenbar vom vielen böse Gucken schon eine tiefe Falte eingefräst. Es gab keinen Zweifel. Sky hatte ihn gefunden: Den Trollkönig von North Uist.
Aber dann fiel ihm etwas Ungewöhnliches auf, jedenfalls für einen Schäfer auf einer abgelegenen Insel: Sein linker Arm, der unter dem bis zum Ellenbogen hochgekrempelten Ärmel hervorschaute, war offenbar komplett tätowiert. Bis zu den Fingerknöcheln.
»Und Sie sind Alastair MacArthur?«, fragte er vorsichtig.
»Die Frage hättest du mir vielleicht stellen sollen, bevor du zu mir ins Auto gestiegen bist.« Der Kerl rang sich ein winziges Lächeln ab. Eher gemein als freundlich. »Aye, ich bin Alastair. Und du heißt wirklich Annachie Gordon, wie der in dem schottischen Volkslied?«
»Hmm. Aber alle nennen mich Sky, was mir auch viel lieber ist.«
»Wieso Sky? Was hat das mit Annachie zu tun?«
»Viele dachten, ich heiße Anakin, so wie Anakin Skywalker aus Star Wars. Irgendwann wurde daraus eben Sky und das gefällt mir viel besser als der peinliche Name, der in meinem Pass steht.«
»Was für ein Blödsinn.« Alastair schnaubte. »Nichts ist daran peinlich. Das ist Kultur. Sky hingegen, das ist wie der Fernsehsender.«
»Oder wie der Himmel. Oder die Insel Skye.«
Als Antwort erhielt er nur ein leises Brummen. Aber plötzlich begann der Trollkönig, leise zu singen: »For Annachie Gordon he’s bonny and he’s bright, he’d entice any woman that e’er he saw. He’d entice any woman and so he has done me. And I never will forget my love Annachie.«
O Gott ...