Wenn die Tage länger werden

(Bergets Sånger 3)


Stellan erkannte das Ferienhäuschen und steuerte darauf zu, entschloss spontan, es kurz selbst in Augenschein zu nehmen, ehe er den Vermietern seine Ankunft meldete. Doch sein Plan wurde jäh durchkreuzt, als er zwei junge Männer, die sich offenbar angeregt miteinander unterhielten, um das Haus gehen sah. Das mussten dann wohl die Vermieter sein.

Ich hoffe, die sind nicht allzu geschwätzig.

Er parkte sein Auto vor dem Haus. Inzwischen wurde er langsam doch müde und sehnte sich nach einer lauwarmen Dusche und einem weichen Bett. Die Schlüsselübergabe würde ja hoffentlich nicht ewig dauern.

Stellan stieg aus und winkte den beiden Männern zu, die ihn neugierig anglotzten. Beide blond, beide vermutlich Anfang dreißig. War der eine im airbnb-Profil nicht dunkelhaarig und älter gewesen?

Verwirrt näherte er sich den beiden und einer sprach ihn an: »Hej! Kann ich dir helfen?«

Ja, rück den Schlüssel raus und lass mich dann in Frieden.

»Hej. Ich bin Stellan Nätterqvist, der Mieter ... Urlauber ... wie du’s nennen willst.«

»Hä?«, sagte der andere der beiden.

»Moment, wieso bist du heute schon hier?«, fragte der Erste verdutzt.

»Weil ich das Haus ab heute gemietet habe?«

»Sollte das nicht erst in drei Wochen sein?«

Willst du mich verarschen?

Stellan zückte sein Handy, suchte die Buchungsbestätigung und zeigte sie dem Kerl. Ganz eindeutig: Er hatte das Haus ab heute gemietet.

Mit fragender Miene drehte sich der Mann zu dem anderen um, der ihm ebenfalls sein Handy hinhielt. Der Kerl wurde ein bisschen blass und sein Adamsapfel wippte, als er nervös schluckte.

»Wir haben ein Problem«, erklärte er. »Ein dickes, fettes Problem.«

»Ach so?« Stellan verschränkte die Arme.

»Ja. Also, erst mal: Ich bin Oscar Berg, der Vermieter des Hauses ... und es gab offenbar einen Buchungsfehler.«

»Und wie konnte der passieren? Auf die Erklärung bin ich nach eintausendzweihundert Kilometern Anreise sehr gespannt, Oscar Berg.«

In ihm brodelte es. Er hasste es, wenn Dinge schiefgingen. Besonders jetzt, wo er sich endlich einmal Zeit für sich nehmen wollte.

»Du hast über airbnb gebucht, Kristian direkt bei mir über E-Mail ... ich habe versäumt, das Haus bei airbnb für die nächsten drei Wochen als belegt zu markieren.« Sein Gesicht wurde vor Scham tiefrot und sein Blick flog nervös zwischen Stellan und diesem Kristian hin und her. »Wir finden eine Lösung. Ähm ... ich rufe kurz meinen Mann an, ja? Kleinen Moment.«

Er verzog sich um die nächste Ecke und telefonierte, während Stellan den Kerl, der sich einfach in sein Ferienhaus eingemietet hatte, feindselig musterte. Der sah mit seiner sportlich-schlanken Figur, dem Zahnpastalächeln und dem lässigen Haarschnitt wie einer dieser Typen aus, die Soja-Latte tranken und Backpack-Touren durch Nordindien unternahmen, ehe sie wieder in ihr angenehmes Stadtleben zurückkehrten und dort bei Edibles über ihr geistiges Wachstum sinnierten.

Furchtbar.

»Das hier ist mein Haus«, raunte Stellan ihm zu, damit er gleich wusste, wie der Hase lief.

»Ja?« Kristian lächelte entnervend freundlich. »Dabei klingt es so, als hätte ich zuerst gebucht.«

»Und wenn schon. Ich habe es über airbnb gebucht und Oscar will sich bestimmt keinen Ärger mit dieser Plattform einhandeln. Schlimmstenfalls wird er gesperrt. Das wäre ja echt bedauerlich.«

»Bist du immer so ein ...« Kristian brach ab. Bestimmt hatte er Arschloch sagen wollen. »So ein zynischer Mensch?«

»Darauf kannst du Gift nehmen.«

Oscar kehrte zurück und lächelte nervös. »Mein Mann kommt gleich. Er muss nur kurz telefonieren, aber wir finden eine Lösung.«

»Wenn die Lösung darin besteht, dass ich das Ferienhaus bekomme, so wie ich es gemietet und bereits bezahlt habe, soll es mir recht sein.« Stellan hob das Kinn und sah Kristian herausfordernd an.

»Bis wann hast du denn gebucht?«, wollte der wissen.

»Bis Mitte August.«

»Oha! Ein ganz schön ausgedehnter Urlaub. Inspiration und Selbstfindung?«

Halt bloß deine Fresse.

Stellan zog zur Antwort eine Grimasse und wenige Momente später näherte sich im Laufschritt ein Mann mit kurz geschorenem, dunklem Haar und Vollbart.

»Hej!«, rief er. »Da bin ich. Ingmar mein Name, mir und Oscar gehört das Ferienhaus. Die kleine Panne tut uns unendlich leid.«

»Kleine Panne?«, murmelte Stellan und hob eine Braue.

Ingmar schien ihn nicht gehört zu haben. »Ich hab einen guten Freund erreicht, der uns dabei hilft, eine Lösung zu finden. Er und seine Familie – samische Rentierhirten übrigens – haben in ihrem Haus zwei schöne Zimmer frei, die einmal ihren Kindern gehört haben. Sie würden für die fraglichen drei Wochen einen von euch beiden aufnehmen, inklusive Verköstigung, wenn gewünscht, aber sie erbitten Zeit bis morgen früh, um alles vorzubereiten. Selbstverständlich werden Oscar und ich einen Teil des Buchungspreises erstatten.«

»Und bis morgen?«, hakte Kristian nach.

»Klingt, als müsstest du die Nacht im Auto verbringen«, stellte Stellan fest und sah ihn herausfordernd an.

»Wer sagt, dass ich derjenige bin, der in die andere Unterkunft geht?«

»Ich habe das Haus für drei Monate gemietet, du nur für drei Wochen. Logisch, dass ich mehr Anrecht darauf habe.«

»Da könnte ich aber genauso argumentieren, dass du das Haus ja dann immer noch für neun Wochen hättest, auch wenn du die ersten drei Wochen darauf verzichten müsstest.«

Ingmar räusperte sich. »Für die eine Nacht würde ich euch beide bitten, im Ferienhaus zu schlafen. Es hat zwei Schlafzimmer. Ich denke, das ist zumutbar, oder?«

Eigentlich nicht, dachte Stellan, aber alle sahen ihn so an, als würden sie ihn direkt als Arschloch abstempeln, wenn er sich jetzt weiter sperrte. Er war sauer. Aber einfach nach Stockholm zurückzufahren, war auch keine Option.

»Meinetwegen«, murrte er. »Und wer geht dann morgen in die andere Unterkunft?«

Kristian seufzte. »Ich gehe. Das mit den samischen Rentierhirten hört sich interessant an.«

»Genau«, pflichtete Stellan bei. »Dann kannst du später allen von deiner Zeit mit den nordischen Ureinwohnern erzählen.«

Gut, damit wäre das dann ja geklärt.

Diese eine Nacht würde er zähneknirschend aushalten – und natürlich einen Rabatt für die unschönen Umstände einfordern. Denn das Letzte, was er wollte, war ein Mitbewohner. Aber das Problem hatte sich ja morgen Gott sei Dank erledigt.

Oscar zückte den Hausschlüssel. »Wem darf ich–«

»Mir.« Stellan hielt ihm die Hand hin und nahm den Schlüssel entgegen.

»Entschuldigt bitte nochmals das Chaos. Ich habe wirklich getrieft bei den Buchungen.«

»Nicht so schlimm«, gab Kristian nervtötend fröhlich zurück. »Ich hatte mich zwar auf das Haus gefreut, aber bei einer samischen Familie zu wohnen, klingt mindestens genauso interessant! Und die eine Nacht kriegen wir auch rum, nicht wahr, Stellan?«

 

Ausdruckslos sah er ihn an. »Ich dusche zuerst.«

 

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