Vorweg: Normalerweise hasse ich Wortspiele mit dem Wort „gay“ (z.B. „Gayschichten“), aber den „Gayer“ (anstatt Geier) konnte ich mir gerade einfach nicht verkneifen.
Nun aber zum Thema. Die häufigste Frage, die man als weiblicher Autor im Gay-Genre gestellt bekommt, ist wohl diese: „Warum schreibt man als Frau Geschichten über schwule Männer?“ Häufig noch garniert mit „Woher wollt ihr wissen, was die im Bett so machen?“ (Kleiner Hinweis: Man kann mit schwulen Männern reden und das Internet wurde auch schon erfunden)
Jeder hat andere Gründe und ich kann hier nur meine ureigenen Überlegungen anführen, aber ich möchte einmal versuchen, diese Frage zu beantworten.
Was macht für eine Frau die Faszination an schwulen Geschichten aus?
1. Sie muss sich mit keiner weiblichen Hauptfigur identifizieren.
Frauen in einem Roman darzustellen, ist generell ein sehr schwieriges Thema. Man möchte sie nicht zu naiv und dümmlich portraitieren, aber auch nicht burschikos, tough und unsympathisch, denn wo bliebe dann das Bedürfnis nach der starken Schulter eines Mr. Right, den man in einem klassischen Liebesroman ja anschmachten möchte?
Aber egal wie die Protagonistin dargestellt wird, eines unterscheidet sie immer von uns: Sie bekommt den tollen Typen ab. Nicht, dass wir keine tollen Typen zu Hause haben, aber ihr wisst schon, wie ich das meine. Sie lebt das Märchen und wir nicht, also hat sie irgendetwas, was wir nicht haben, und das macht uns unterschwellig schon wieder zu Konkurrenten. Wir beginnen unbewusst, uns mit der Romanfigur zu vergleichen, und sehen all die Dinge, die wir nicht mit ihr gemeinsam haben.
In diese Verlegenheit kommen wir erst gar nicht in einer Geschichte, in der es um zwei Männer geht. Wir können ihnen entspannt von außen dabei zusehen, wie sie sich verlieben, ohne Missgunst oder Minderwertigkeitsgefühle.
2. Der „schwule Mann“ stellt den Archetypus dessen dar, was eine emanzipierte Frau gerne sein möchte. Und wie sie ihren Mann gerne hätte.
Natürlich bedeutet das gewissermaßen, schwule Männer einem Schema zuzuordnen, aber bis zu einem gewissen Grad sind Schubladen weder falsch, noch schlecht. Sie helfen uns, Dinge einzuordnen, zu kategorisieren und damit im Leben zurechtzufinden.
Schwule Männer – als Klischee gedacht – vereinen maskuline Stärke und weibliche Sensibilität in sich. Er wirkt gefühlsbetonter, ohne dabei seine Männlichkeit zu verlieren (eine Tatsache, vor der sich viele heterosexuelle Kerle fürchten). Er scheint mehr Verständnis für die Welt der Frauen zu haben und ist für uns daher emotional „greifbarer“.
3. Männer sind dramaturgisch dankbare Figuren.
Man kann als Autorin eine völlig andere Spannung zwischen zwei Männern aufbauen, die durchaus auch physische Ausmaße annehmen kann. Ein Streit kann handgreiflich werden, man geht in jeder Hinsicht härter miteinander ins Gefecht. In Hetero-Romanen würden solche Szenarien sofort, und oft durchaus zurecht, langwierige Diskussionen über frauenverachtende Inhalte lostreten. Gehen wir aber von zwei körperlich und psychisch ebenbürtigen Männern aus, stellt sich die Situation anders dar. Das soll keine Rechtfertigung für körperliche Gewalt sein, mehr eine Annäherung an die Realität, die hinter allen Idealen immer noch existiert.
4. Zwei hübsche Männer sind besser als einer.
Das ist eine Begründung, die ich persönlich nicht vertrete, die aber sehr häufig genannt wird. Ich gehe damit nicht konform, weil ich zum einen nicht nur über hübsche Männer schreibe und weil mir Männer damit zu sehr objektifiziert werden. Nichtsdestotrotz ist es für viele eine valide Begründung, die ich hier mit anführen möchte.
5. Girlfags.
Girlfag (oder „Schwule Frau“) ist der Ausdruck für Frauen, die sich besonders zu schwulen bzw. zu bisexuellen Männern und deren Umfeld hingezogen fühlen und/oder sich selbst als schwul definieren. Einige bezeichnen sich selbst als „genderqueer“ oder fühlen sich ganz oder teilweise als „schwuler Mann im Körper einer Frau“. Girlfags können sowohl bisexuell als auch heterosexuell sein. (Wikipedia)
Ich wusste bis vor Kurzem nicht, dass es dafür einen eigenen Begriff gibt, aber ich kann mich damit sehr wohl identifizieren. Ich habe schon in früheren Interviews angemerkt, dass ich mich oft wie ein „schwuler Mann, gefangen im Körper einer kleinen Frau“ fühle, und ich meine das durchaus ernst.
Zu erklären, warum, wieso, weshalb eine Frau ein Girlfag ist, führt an dieser Stelle zu weit. Aber es gibt sie, und zwar gar nicht so wenige davon.
6. Weil wir es können.
Es kann uns nämlich glücklicherweise niemand verbieten, zu schreiben, worüber wir wollen.
Das ist vorerst meine Antwort auf die meistgestellte Frage im Gay-Genre. Bei Bedarf, bzw. neuen Erkenntnissen, werde ich sie in Zukunft ergänzen.